Fast auf den Tag genau sieben Jahre ist es her, als eine der charismatischsten Wrestling-Größen aus dem Leben gerissen worden. Am 31. Juli 2015 kam mit 61 Jahren sein Tod viel zu früh – wenn man in normalen Menschenjahren rechnet. Doch „Rowdy“ Roddy Piper wollte niemals ein „normaler Mensch“ sein. Piper war ein Wrestler, der das wilde Leben eines Rockstars führte. Einer, der in jeder Minute seine Reise genoss und der jeden Moment auskostete. Soweit, dass er in Interviews vor über 10 Jahren bereits prognostizierte: „Bis zu meinem 65. Lebensjahr werde ich es nicht schaffen!“ Doch was machte den gebürtigen Kanadier, der Zeit seines Lebens im Wrestling als verrückter Schotte auftrat, so außergewöhnlich?
Ohne Frage: Piper entstammt einer Generation von Wrestlern, die es in dieser Form heute nicht mehr gibt. Wo heute besonders durchtrainierte Sportler nach der nächstbesten „Performance“ streben, war der gebürtige Roderick Toombs alles andere als ein Vorzeigeathlet. Vielmehr war er ein einfacher Typ aus zerrütteten Familienverhältnissen, der bereits in seiner Jugend das Wrestling für sich entdeckte – und das Wrestling als Ausweg nutzte, in dieser Form des reisenden Schaustellerlebens seiner problematischen Kindheit zu entkommen.
Der 15-jährige Piper, der zuvor vornehmlich Boxen trainiert hatte, machte den Schritt ins Pro-Wrestling auf die harte Tour – und lernte in einem ersten Match gegen Larry Hennig, dem Vater des späteren „Mr. Perfect“ Curt Hennig, was es bedeutet, in einem im Kern „gestellten Sportwettbewerb“ eine gehörige Abreibung zu kassieren.
Der unberechenbare Schotte entwickelte sich ab Mitte der siebziger Jahre in vielen Wrestling-Territorien, besonders an der Westküste oder auch in Georgia und Jim Crocketts Mid-Atlantic, zu einem gerne eingesetzten Regelbrecher. Piper war immer eins: unberechenbar und eine ganz große Nummer am Mikrofon. Er machte den „Trash Talk“ salonfähig. „Rowdy“ Roddy konnte Konflikte verkaufen und echt wirken lassen. Das Publikum wusste nie, woran es bei ihm ist – sie liebten es, Piper zu hassen.
Bis heute rankt sich so manche Erzählung um den Erfolg der ersten WrestleMania im Frühjahr 1985. Kurz zusammengefasst: Promoter Vince McMahon setzte alles auf eine Karte, um mit dieser Veranstaltung den Durchbruch seiner neuorganisierten World Wrestling Federation zu schaffen – oder womöglich als Promoter für alle Zeiten eine Bruchlandung hinzulegen. Bis heute heißt es: Neben McMahon war das aufgebaute Aushängeschild Hulk Hogan mit für den Erfolg verantwortlich, der sich am 31. März 1985 in New York auch tatsächlich einstellen sollte.
Dabei war es bei weitem nicht Hogan allein, dem der Löwenanteil für Ruhm und Anerkennung zugeschoben werden konnte. Schlüsselfiguren waren neben der entscheidenden Einbindung prominenter Persönlichkeiten (Actionstar Mr. T sowie Musikerin Cyndi Lauper), auch die Gegenspieler der Publikumslieblinge, die für so viel Hype im Vorfeld sorgten: „Cowboy“ Bob Orton, Paul Orndorff und eben ganz besonders „Rowdy“ Roddy Piper.
Weitere legendäre WWE-WrestleMania-Momente folgten über die Jahre. Der kontroverse Boxkampf gegen Mr. T bei WrestleMania II, das Rasieren von Adrian Adonis’ Schädel bei WrestleMania III, sein aus heutiger Sicht politisch eher unkorrekter Auftritt als halbschwarz-bemalter Piper bei WrestleMania VI oder auch das denkwürdige Match gegen Bret Hart bei WrestleMania VIII, als der „Hot Rod“ die Intercontinental Championship an den „Hitman“ weitergab.
Für Bret bis heute ein Schlüsselmoment in seiner Karriere, wie er in einem Statement zum Tod seines Wegbegleiters klarstellte: „Roddy war mein engster Freund im Business. Ein Mann, der mich gefördert und in meiner Laufbahn geleitet hat. Ich bin mir sogar sicher: Hätte Roddy Piper mir nicht seine Hilfe angeboten, wäre ich nur eine Randnotiz im Wrestling geblieben. Er war immer für mich da. Er war wie ein Familienteil für mich. Ein Bruder, der mich liebte und der mich auch durch meine dunkelsten Tage begleitete. Er war der einzige Wrestler, der mich 2002 besuchte, als ich meinen Schlaganfall erlitt. Bei WrestleMania VIII hat er in unserem klassischen Match mich so gut aussehen lassen. Er gab die Fackel weiter, was in dieser Ära den meisten gar nicht in den Sinn gekommen wäre. Wir bezeichneten uns immer als ‚Cousins‘, da wir uns so nahe standen.“
Über seine WrestleMania-Momente hinaus gab es natürlich noch so viel mehr. Sei es die historische Attacke auf „Superfly“ Jimmy Snuka mit einer Kokosnuss in seinem Interview-Segment, dem „Piper’s Pit“. Sein Dudelsack-Konzert vor über 80.000 WWE-Fans im Wembley-Stadion im Sommer 1992. Seine WCW-Karriere, die viele deutsche Fans in den späten Neunzigern über das DSF miterlebten. Oder, zuletzt, sein Auftritt in der Reality-Serie „WWE Legends House“: Hier kämpfte Piper mit den Tücken der Technik und geriet als „einsamer Wolf“ in Konflikte mit seinen Mitbewohnern. Wo die Grenzen zwischen Piper als Performaner und Privatperson anfingen und endeten, war bis zuletzt nie wirklich zu durchschauen. Man kam zu der Ansicht: Der oftmals positive, manchmal aber auch negative Wahnsinn des Wrestling-Charakters hatte die Person hinter „Rowdy“ Roddy Piper bereits gänzlich eingenommen.
Piper war ein potentieller Weltmeister, der nie die World Championship hielt. Zufälligerweise gibt es gerade in dieser Ausgabe genau zu dem Thema eine Geschichte, in der wir auf den Sachverhalt näher eingehen. Auch fertigten wir für diese Ausgabe eine kleine Geschichte über den jüngsten Wahnsinn um Roddy Piper und Steve Austin an. Grundsätzlich eine Story, die nach dem plötzlichen Ableben Pipers sehr trivial erscheint. Wir haben sie aber dennoch in der Ausgabe belassen, denn auch diese Geschichte bleibt ein gutes Beispiel dafür, wie undurchschaubar sich Piper bis zuletzt in seinem Leben gab.
Wo es für Roddy übrigens nie zur WWE Championship reichte, holte er sich beim Marktführer neben der Intercontinental Championship auch noch den Tag-Team-Titel. Und das auf seine alten Tage: für nur gut eine Woche im Herbst 2006 an der Seite seines guten Freundes Ric Flair. Der „Hot Rod“ und der „Nature Boy“ – zwei Männer, die auf ihren gemeinsamen Reisen übrigens Dinge erlebten, mit denen sicher ganze Bücher gefüllt werden könnten. Denn Piper, der dank seiner Hauptrolle im Science-Fiction-Film „Sie leben“ (1988; von Kult-Regisseur John Carpenter) auch in den Mainstream vordringen konnte, nutzte jeden Tag aus so gut er konnte.
Dass der WWE Hall of Famer (2005) nach so manchen Drogen- und Alkoholerlebnissen nicht an das ganz lange Leben glaubte, stellte er mit seiner eigenen Prognose klar, sicher nicht älter als 65 zu werden. Und er sollte leider Recht behalten.
Der 61-jährige Roderick Toombs hinterließ bei seinem Tod neben seiner Ehefrau, drei Töchter, einen Sohn sowie eine Enkeltochter – und zudem ein Wrestling-Vermächtnis, das selbst in 100 Jahren niemals seinen unglaublichen Unterhaltungswert und diesen einzigartigen Charme verlieren wird.
RODDY PIPER vs. HULK HOGAN – WAR TO SETTLE THE SCORE – FEBRUAR 1985
Dieses auf MTV ausgestrahlte Special war der Vorbote zu WrestleMania. Roddy Piper war damals der große Gegenspieler zu Hulk Hogan. Auf dieser Rivalität fußte der frühe Erfolg der national expandierten World Wrestling Federation. Die Verbindung der WWE zu MTV und angesagten Popstars wie Cyndi Lauper half Vince McMahon dabei, mit seinem Produkt den Mainstream zu erreichen. Dieses TV-Special wird oftmals übersehen, wenn es um die so entscheidende Phase um die erste WrestleMania geht. Mit dem Event setzte McMahon alles auf eine Karte. Einen Misserfolg hätte er damals nicht verkraften können, die Geschichte des modernen Pro-Wrestling wäre ganz anders verlaufen.
Dieses Match gipfelte in einer Disqualifikation, als Bob Orton und Paul Orndorff in den Ring stürmten. Daraus ergab sich ein Brawl mit Hulk Hogan und Mr. T (der spätere Tag-Team-Main-Event für WrestleMania 1). Auch Cyndi Lauper kassierte einen Treffer von Piper, was für Aufsehen sorgte.
RODDY PIPER & PAUL ORNDORFF vs. HULK HOGAN & MR. T – WRESTLEMANIA – MÄRZ 1985
Dies war das Match, um das sich bei der ersten WrestleMania, einer ansonsten inhaltlich vernachlässigenswerten Veranstaltung, alles drehte. Muhammad Ali agierte als Sonder-Offizieller für dieses Duell, das mehr Show-Inszenierung als Wrestling-Kampf war. Aber es half – wie bereits erwähnt – die World Wrestling Federation Teil der Popkultur werden zu lassen und bleibt bis heute eine essentieller Meilenstein in der Geschichte des Sports.
RODDY PIPER vs. THE MOUNTIE – WWE ROYAL RUMBLE 1992
Zum Jahresstart 1992 sicherte sich Roddy Piper die Intercontinental Championship vom Mountie. Daraus ergab sich das Duell der Cousins: Piper vs. Bret „Hitman“ Hart bei WrestleMania VIII. Hier gab es gegen den Mountie ein erhitztes Duell, das Spaß machte und einen besonderen Meilenstein in Pipers WWE-Laufbahn darstellt.
RODDY PIPER vs. BRET “HITMAN” HART – WRESTLEMANIA VIII
Was das Wrestling angeht, ist dies Pipers bestes Match auf der WWE-Bühne. Und natürlich hat sein Cousin Bret Hart dazu einen gehörigen Beitrag geleistet. Es gab Harts technische Raffinesse, die auf Roddys robusten Ringkampf-Stil prallte. Die Emotionen kochten für dieses Match hoch, das Publikum war zum Anschlag involviert. Mit einem Match wie diesem befand sich auch die Intercontinental Championship, die in den darauffolgenden Jahren an Ansehen einbüßen sollte, auf dem Höhepunkt. Für Hart war dieses Match ein wichtiger Karrieren-Weichensteller. Er gewann mit einem einfallsreichen Einroller, der aus einem Sleeperhold entsand. Wenige Monate später kämpfte der „Hitman“ bereits erfolgreich um den WWE-Titel. Für Piper war es der Ausklang als Vollzeit-Wrestler bei WWE. Aber in einer anderen Rolle, nämlich als Kommentator, sollte er der Fangemeinde erhalten bleiben.
RODDY PIPER vs. GOLDUST – WRESTLEMANIA XII
Eigentlich hätte bei dieser Veranstaltung Razor Ramon gegen Goldust antreten sollen. Doch Scott Hall verließ kurz vor dem Event die Veranstaltung. Kurzerhand geriet Piper, der zwischenzeitlich als Interims-Präsident eine Autoritätsfunktion bei WWE ausfüllte, mit Goldust aneinander. Dieser „Backlot Brawl“ war dann mehr ein großes Spektakel als ein typisches Match. Es wurde recht brutal, als Goldust auf dem Parkplatz Piper mit einem Fahrzeug überrolen wollte. Auch gab es eine Verfolgungsjagd, die an OJ Simpsons denkwürdige Flucht vor Polizeibeamten einige Jahre zuvor erinnern sollte. Auf der Card von WrestleMania XII stach diese Darbietung in jedem Fall hervor.
RODDY PIPER & RIC FLAIR vs. SPIRIT SQUAD – CYBER SUNDAY 2006
Und auch dieses Match soll noch kurz erwähnt werden: Im Herbst 2006 holten sich zwei absolute Legende, Roddy Piper und Ric Flair, die Tag-Team-Titel von der Spirit Squad. Wenige Wochen später endete diese Regentschaft, als die Gürtel an Randy Orton und Edge gingen. Und auch, wenn rückblickend betrachtet dieser Lauf der Legenden kritisch beäugt wird, war es eine kleine Danksagung von WWE, dem „Nature Boy“ und „Rowdy“ Roddy noch mal das verdiente Rampenlicht zu geben.