Der langjährige AEW-Star MJF (Maxwell Jacob Friedman) hat für den Wrestling-Skandal des Sommers 2022 gesorgt
Der langjährige AEW-Star MJF (Maxwell Jacob Friedman) hat für den Wrestling-Skandal des Sommers 2022 gesorgt

Was ist los mit Maxwell Jacob Friedman? Ist der Frust beim 26-Jährigen wirklich so groß, dass er sämtliche Absprachen über Bord warf und AEW-Chef Tony Khan vor laufenden Kameras demütigte? Power-Wrestling wirft einen Blick auf eine scheinbar verfahrene Situation und erklärt die Hintergründe. (Exklusiver Artikel nur für Mitglieder.)

Es begann mit enttäuschten Gesichtern. Eigentlich hätte Maxwell Jacob Friedmann, besser bekannt als MJF, am 28. Mai in Las Vegas bei einem Meet & Greet auftreten sollen. Doch vom umstrittenen AEW-Star war weit und breit nichts zu sehen. War etwas dazwischengekommen? Steckte Friedman noch im Stau? Oder war er gar kurzfristig erkrankt? Wenig später wurde klar: Nichts davon war zutreffend!

Vielmehr war MJF dem Fan-Termin aus Lust und Laune ferngeblieben. Das Match gegen Wardlow am darauffolgenden Abend – zweifellos eines der größten Kaufargumente für Double or Nothing in diesem Jahr – geriet plötzlich in Gefahr. Angeblich war sogar bereits ein Flug für den späten Samstagabend aus Vegas in Friedmans Heimat nach New York gebucht worden, doch diese Gerüchte ließen sich nicht verifizieren. Im Laufe des Vormittags zog AEW schließlich die Werbevideos für das Match zwischen Wardlow und MJF von YouTube zurück, eine offizielle Erklärung hierfür gab es jedoch nicht.

MJF VERLANGT MEHR WERTSCHÄTZUNG

Friedman hielt sich schon seit einiger Zeit für unterbezahlt, dies war ein offenes Geheimnis. Als unbekanntes Talent unterschrieb er zum Start der Promotion einen nicht so lukrativen Vertrag, doch die Zeiten hatte sich zweifellos geändert. MJF wollte wie ein Topstar bezahlt werden – eine Forderung, die sich angesichts seiner Leistungen in den vergangenen drei Jahren zweifellos nachvollziehen ließ. Ein neuer Vertrag würde aber auch mit einer Vertragsverlängerung einhergehen, denn der bestehende Kontrakt endet im Januar 2024. Bis dahin möchte sich MJF aber alle Möglichkeiten offenhalten, um so auch eine Chance auf Vertragsverhandlungen mit WWE zu wahren.

„Ich liebe das WWE-Programm und finde es großartig, was Vince McMahon und Bruce Prichard auf die Beine stellen. Ich liebe NXT 2.0, ich liebe Raw, ich liebe SmackDown“, hatte er erst vor wenigen Wochen geschwärmt. Dass sowohl All Elite Wrestling als auch der Marktführer in Stamford den talentierten Catcher gerne langfristig in ihrem Kader haben möchten, scheint logisch.

Am Tag vor dem erwähnten Meet & Greet hatte AEW-Chef Tony Khan die Situation in einer Presserunde recht beiläufig kommentiert. Friedman war mit Khans Äußerungen nicht zufrieden und schrieb auf Twitter: „Fucking LOL. Fuck This Place.“ Der Tweet des 26-Jährigen wurde kurze Zeit später wieder gelöscht. Wollte man – wenige Tage nach dem Tumult rund um Sasha Banks und Naomi bei SmackDown – aus der realen Situation Kapital schlagen und eine besonders gefinkelte Storyline präsentieren? Oder hatte MJF einfach nur die Schnauze voll? Die Spekulationen überschlugen sich. Passend dazu warfen wir auch bei Power-Wrestling die alles entscheidende Frage auf: „Lässt sich AEW-Promoter Tony Khan von den eigenen Leuten auf der Nase herumtanzen?“

Fakt ist, dass die besagten Werbe-Clips vom geplanten Match wenige Stunden vor Double or Nothing wieder hochgeladen wurden. Das heißersehnte Duell mit Wardlow konnte also stattfinden und sollte den Pay-Per-View sogar eröffnen.

DER PPV-AUFTRITT GIBT RÄTSEL AUF

MJF machte es spannend, kam erst knapp eine halbe Stunde vor dem Beginn der Show in der Halle an. Nicht nur die Fans, sondern auch viele Kolleginnen und Kollegen fragten sich inzwischen, was hier eigentlich gespielt wurde. Das Match selbst sollte dann nicht einmal acht Minuten dauern und war eine glasklare Angelegenheit. Wardlow verpasste seinem erbitterten Rivalen eine Powerbomb nach der anderen, insgesamt waren es zehn Stück. MJF brachte hingegen keinerlei Offensivaktionen ins Ziel und fungierte lediglich als Punching Ball für den Hünen. Am Ende stellte Wardlow seinen Fuß auf MJFs Brust und ließ den Ringrichter den Pinfall durchzählen. In der Wrestling-Geschichte deutete ein solch einseitiger Kampfverlauf traditionell auf einen Wechsel des Territoriums oder zumindest auf eine lange Pause hin. Auch der Abtransport mittels Trage verfestigte diesen Eindruck. Hinzu kam, dass Friedman die Halle umgehend nach seinem Auftritt verließ. Dies heizte die Spekulationen noch mehr an.

Nach dem Pay-Per-View stand AEW-Boss der Presse mehrere Stunden lang (!) als Gesprächspartner zur Verfügung, Fragen zu MJF und dessen Situation wollte er allerdings partout nicht beantworten. Umso überraschender dann die Ankündigung, dass Friedman bereits bei der darauffolgenden Dynamite-Ausgabe am 1. Juni in Los Angeles mit einem Statement aufwarten würde. Also doch alles nur eine Storyline? Und wenn ja, wann hatte diese Storyline begonnen? Vor dem besagten Meet & Greet? Kurz vor Double or Nothing? Oder gar erst kurz vor Dynamite?

Die besagte Promo gab darüber nur wenig Aufschluss, sollte es aber in sich haben. Über den Inhalt konnte man sicherlich geteilter Meinung sein, die Darbietung als solche war aber zweifellos überragend.

Anstatt die Geschichte mit Wardlow weiter zu spinnen, sprach MJF über die Geschehnisse hinter den Kulissen. Eine pikante Situation, denn im Publikum befanden sich eine Menge hochrangiger Mitarbeiter von Warner Bros. Discovery, dem Medienpartner von All Elite Wrestling. Nach der kürzlich vollzogenen Fusion zweier Medien-Giganten war dies für so manchen Verantwortungsträger die erste Gelegenheit, sich selbst ein Bild von AEW zu machen. Bei den Worten von MJF dürften sie zumindest mit der Stirn gerunzelt haben.

HARTE WORTE VOR LAUFENDEN KAMERAS

Friedman stürmte zu Beginn der Übertragung regelrecht in die Halle, riss sich den Burberry-Schal vom Hals und legte sofort los: „Das ist doch genau das, was ihr wollt, richtig? Ihr wollt mich reden hören! Okay, ich werde reden. Aber in diesem Fall ist es Max Friedman, der zu euch spricht!“ Spätestens jetzt war klar, dass es sich um einen sogenannten Worked Shoot handelte. Also um eine Geschichte, die ganz bewusst die Grenzen zwischen dem wahren Leben und der TV-Show vermischen sollte.

Die ersten Worte richtete er direkt an Tony Khan: „Ich möchte dich nicht in Verlegenheit oder gar eine peinliche Situation bringen. Apropos peinlich: Seit geraumer Zeit versuchst du, die Dinge mit mir zu klären. Weißt du was? Dafür ist es leider zu spät! Als diese Firma aus der Taufe gehoben wurde, handelt es sich um All Friends Wrestling. Jeder bekam ein Freilos. Jeder außer mir, denn ich musste mir selbst eines ausstellen. Und Junge, war ich verdammt gut darin!

Ich habe einen großen Moment nach dem anderen für diese Firma geschaffen, doch trotzdem werde ich noch immer nicht respektiert. Dabei ist niemand auch nur annähernd auf meinem Level! Niemand! Alles, was ich anfasse, verwandelt sich in Gold. Es gibt nichts, was ich nicht schaffe. … Den anderen Jungs reicht es, großartig zu sein. Ich jedoch muss perfekt sein, weil ich der einzige 26-Jährige bin, der ständig unter die Lupe genommen wird. Und warum? Weil ich auch der Einzige bin, der in der Lage dazu ist, diese Firma auf diesem Rücken zu tragen, wie ich es bereits seit Monaten tue!“

FANS, KOLLEGEN UND TONY KHAN IM VISIER

Nach anfänglichen Buhrufen schwenkte ein Großteil der Zuschauer in der Halle um, viele von ihnen jubelten MJF inzwischen sogar zu. „Das ist ja interessant. Wo wart ihr, als ich am vergangenen Wochenende als unprofessionelles Stück Scheiße bezeichnet wurde? Das würde mich wirklich interessieren. Aber ihr seid gar nicht das einzige Problem, die Jungs in der Umkleide nehme ich ebenfalls nicht aus. Ihr wollt meinen Platz einnehmen? Den könnt ihr haben, denn eigentlich möchte ich gar nicht mehr hier sein! Aber ich möchte noch ein paar Worte zu euch Fans verlieren. Wobei, eigentlich seid ihr gar keine Fans, sondern nur ungebildete Marks! Ihr sitzt an euren Handys und tweetet eure Meinungen, als wären sie einen Dreck wert.

Lasst mich euch etwas erklären: Ihr wisst einen Scheißdreck! Ständig ändert ihr eure Ansichten, und tut dann so, als wärt ihr sowie schon immer dieser oder jener Meinung gewesen. Ihr haltet mich plötzlich für einen großartigen Wrestler? Das ist ja interessant, denn die längste Zeit habt ihr alle so getan, als wäre ich total schlecht im Ring. Warum wohl? Weil ich nicht so untrainiert bin wie eure Lieblinge? Weil ich nicht so tue, als würde ich New Japan gucken? Weil ich meine Gegner nicht auf den Kopf werfe? Weil ich nicht rücksichtslos bin? Weil ich nicht hinter Sternchen-Bewertungen herjage?

Ich habe eine Neuigkeit für euch: Ich bin der tatsächlich der Beste, und zwar der Beste auf der ganzen Welt. Denn ich bin der Einzige, der bei euch echte Emotionen wecken kann! Und im Gegensatz zu all den anderen Jungs muss ich dafür nicht irgendwelche verrückten Dinge machen.“

Am Ende nahm Friedman einmal mehr Tony Khan ins Visier und drehte noch einmal richtig auf: „Ich bin ein einzigartiges Talent, aber ihr nehmt mich als selbstverständlich hin. Aber nicht nur ihr, sondern auch der große Mann da hinten. Ich verrate euch etwas, dass ihr nicht als selbstverständlich ansehen könnt. Etwas, dass er vor euch geheim halten möchte. Wisst ihr, wer das zweitgrößte Zugpferd in Bezug auf Einschaltquoten in dieser Firma ist? Ich bin es! Ihr glaubt mir nicht? Dann fragt Stat Boy Tony doch selbst und wartet seine Antwort ab.

Aber was immer ihr auch tut, bittet Ihn auf keinen Fall, in die Taschen zu greifen und den Mann, der sich seit Tag eins den Arsch für seine Firma aufgerissen hat, angemessen zu bezahlen. Nein, niemals, auf gar keinen Fall. Das Geld sollte lieber gehortet werden. Es sollte gehortet werden, damit er es all den ehemaligen WWElern geben kann, die er immer wieder anschleppt, obwohl sie nicht einmal annähernd mit mir mithalten können. Hey, Boss, ich habe noch eine Frage: Würdest du mich besser behandeln, wenn ich ein ehemaliger WWE-Typ wäre? Vielleicht kapierst du es einfach nicht, darum sage ich es dir.

Dein Problem ist, dass du eine Machtposition in einer Wrestling-Firma einnimmst, obwohl du maximal hinter der Ringabsperrung bei den Fans sitzen solltest. Ich möchte nicht bis zum Vertragsende im Jahr 2024 warten, aber du willst ja nicht zuhören. Ich mache es dir darum ganz einfach, Tony. Ich möchte, dass du mich feuerst. Schau mir ins Gesicht, schau mir genau in die Augen. Ich will, dass du mich feuerst. Du verdammter Mark, feuere mich! Feuere mich!“

Just zu diesem Zeitpunkt wurde Friedmans Mikrofon abgeschaltet. Die Fans hatten inzwischen vollständig die Seiten gewechselt und jubelten dem frustrierten Top-Talent nun frenetisch zu. In der nun folgenden Werbepause versuchte der neue AEW World Champion CM Punk mit MJF zu sprechen, doch der hatte so gar keine Lust darauf und verzog sich kurzerhand.

DER SOMMER DES CM PUNK

Ausgerechnet der „Straight-Edge Superstar“, der vor elf Jahren seinerseits mit einer Worked-Shoot-Promo die Grenzen bei WWE verschwimmen ließ. Kein Wunder, dass nun umgehend Vergleiche getroffen wurden. Dass CM Punk mit seiner Meinung selten hinterm Berg hielt, war bereits vor dem historischen Segment bei Monday Night Raw am 27. Juni 2011 klar. Der Vertrag des WWE-Superstars stand damals kurz vor dem Auslaufen, zum Abschied sollte er noch einmal einen großen Kampf gegen dem amtierenden WWE-Champion John Cena bei Money in the Bank in seiner Heimatstadt Chicago erhalten. Dass die im Vorfeld durchaus als kontroverse Promo geplante „Pipebomb“-Rede in die Wrestling-Geschichte eingehen sollte, hatte man sich damals aber zumindest vonseiten der Offiziellen nicht unbedingt gedacht. Doch CM Punk nutzte die Gelegenheit, indem er sich den ganzen Frust von der Seele redete – und damit auch einem großen Teil der langjährigen Fans aus dem Herzen sprach. Ziel seiner Verbalattacken waren nicht nur Cena, sondern auch die Fans und in erster Linie Vince McMahon.

„Ich hasse dich nicht, John Cena. Ich habe nicht einmal eine Abneigung gegen dich, ich mag dich sogar. Sogar viel mehr als die meisten anderen Menschen in dieser Firma“, eröffnete er damals seine Rede. „Ich hasse allerdings die Vorstellung, dass du der Beste sein sollst, denn das bist du nicht. Ich bin der Beste, der Beste auf der Welt (Anmerkung: Fast dieselben Worte wählte auch MJF im Juni). Es gibt nur eine Sache, in der du besser bist als ich, nämlich Vince McMahon in den Arsch zu kriechen. Das kannst du genauso gut wie Hulk Hogan. Ich weiß aber nicht, ob du es mit Dwayne aufnehmen kannst. Er war nämlich ein ziemlich guter Arschkriecher, und das ist er auch heute noch.

Ich war vom ersten Tag an der Beste, schon als ich in diese Firma kam. Und seit diesem Tag wurde ich verunglimpft und gehasst, weil Paul Heyman etwas in mir sah, was sonst niemand zugeben wollte.“ Doch im Vergleich zu vielen anderen Superstars werde er von WWE kaum gefördert. „Ich bin nicht auf euren hübschen, kleinen Sammeltassen, ich bin nicht auf dem Cover des Programms, ich darf nicht in Filmen mitspielen. Ich bin sicherlich nicht in irgendeiner beschissenen Show auf dem USA Network zu sehen und ich bin auch nicht auf dem Poster von WrestleMania!“

ENTTÄUSCHT VON DER FAMILIE McMAHON

Auch an diesem Abend bekamen die Fans ihr Fett weg: „Diejenigen von euch, die mich jetzt anfeuern, haben genauso viel Anteil an meinem Abgang wie alle anderen. Ihr seid diejenigen, die jetzt gerade an diesen Sammeltassen nippen. Ihr seid diejenigen, die diese Programme kaufen, bei denen mein Gesicht nicht auf dem Cover ist. Um fünf Uhr morgens am Flughafen versucht ihr dann, mir das Zeug unter die Nase zu reiben, damit ihr ein Autogramm bekommt, das ihr bei eBay verkaufen wollt, weil ihr zu faul seid, euch einen richtigen Job zu suchen. Der Grund, warum ich gehe, seid ihr! Denn nachdem ich weg bin, werdet ihr immer noch Geld in diese Firma stecken. Ich bin nur ein Rädchen im Getriebe. Dieses Getriebe wird sich weiterdrehen und ich verstehe das. Vince McMahon wird weiterhin Geld verdienen.

Er ist ein Millionär, der ein Milliardär sein sollte. Wisst ihr, warum er kein Milliardär ist? Weil er sich mit gutmütigen, unsinnigen, idiotischen Ja-Sagern wie John Laurinaitis umgibt! Ich würde gerne glauben, dass diese Firma besser sein wird, wenn Vince McMahon eines Tages von uns geht. Doch wahrscheinlich wird sie einfach von seiner idiotischen Tochter, seinem dämlichen Schwiegersohn und dem Rest seiner dummen Familie übernommen werden.“ Wenig später wurde auch ihm das Mikro abgedreht. Just als er sich zur Anti-Bullying-Kampagne von WWE äußern wollte.

Harte Worte, die ihre Wirkung vor elf Jahren nicht verfehlten. Money in the Bank wurde zu einem großen Erfolg, und CM Punk sollte die Firma tatsächlich mit dem WWE-Gürtel verlassen. Aber nur zum Schein, denn in Wahrheit hatte man sich bereits im Vorfeld auf einen neuen Vertrag geeinigt. Auch die Promo selbst war im vornherein mit Vince McMahon abgesprochen, wenngleich der WWE-Boss von anderen Inhalten ausging. Tatsächlich hatte der „Straight-Edge Superstar“ seinem Chef im Vorfeld sogar einen Entwurf vorlegen müssen, in dem die Promo dargelegt wurde. „Ich musste mir das Einverständnis holen“, gab er später zu. „Allerdings habe ich mich nicht an den Entwurf gehalten!“ Es sei nämlich deutlich einfacher, um Vergebung als um Erlaubnis zu bitten. Zumindest in diesem Fall sollte Punk zweifellos Recht behalten. Die Parallelen zu MJFs großem Moment sind nicht zu übersehen bzw. zu überhören und sicherlich nicht rein zufällig. Denn Tony Khan gilt als riesengroßer Wrestling-Fan, der bereits seit Jahrzehnten das Business ganz genau verfolgt. Darum wird er sich wohl auch bewusst sein, dass ein solcher Worked Shoot für den Vorgesetzten eines Catchers nicht immer gut endete.

DIE „LOOSE CANNON“ LOTET DIE GRENZEN AUS

Seinem Boss ein Schnippchen schlug etwa Brian Pillman, dessen „Loose Cannon“-Phase wohl als zweite Inspiration zu MJF-Skandalrede diente. Ende des Jahres 1995 lotete der Highflyer aus Cincinnati eigenständig die Grenzen bei WCW aus, ohne seinen Kollegen Bescheid zu geben. Es begann mit Kleinigkeiten und weitete sich zunehmend aus, etwa als er beim Clash of the Champions XXXII am 23. Januar 1996 Kommentator Bobby „The Brain“ Heenan am Schlafittchen packte, woraufhin dieser geschockt das „verbotene F-Wort“ rief, live im US-Kabelfernsehen wohlgemerkt.

Als Pillman beim SuperBrawl im darauffolgenden Monat seinen Kontrahenten Kevin Sullivan in einem Strap Match als „Booker Man“ bezeichnete und damit dessen Rolle hinter den Kulissen offenbarte, schien er endgültig zu weit gegangen zu sein. Die Wrestling-Welt war damals nämlich noch deutlich verschlossener als dies heute der Fall ist. Kurz darauf wurde Pillman aus seinem WCW-Vertrag entlassen. Was kaum jemand wusste: In Wahrheit hatte der Wrestler seinen Boss Eric Bischoff zumindest in Teilen eingeweiht, die Entlassung erfolgte auf seinem Wunsch. Der WCW-Chef freute sich über eine tolle Storyline, wollte Journalisten, Konkurrenten und Mitarbeiter gleichermaßen überraschen.

Doch Pillman spielte sein eigenes Spielchen. Durch seine Skandale war er zu einem heißen Gesprächsthema in der Szene geworden, dank der Entlassung konnte er nun ganz offiziell mit WWE in Verhandlung treten. Nur wenige Menschen wussten, was damals wirklich gespielt wurde, wie etwa Pillman ehemaliger Trainer Kim Woods und der Wrestling-Journalist Dave Meltzer.

Für Pillmans Biografen Liam O’Rourke war vor allem Woods ein integraler Part der Geschichte. Tatsächlich hatte er sogar die Idee dazu, wie er im Gespräch mit Power-Wrestling verriet: „Menschen im Business kann es leicht passieren, dass sie sich in der sogenannten ‚Wrestling-Blase‘ verlieren. Eine paranoide Welt, die dich schon mal verrückt machen kann.“ Ein interessanter Punkt, denn eine solch kontroverse Geschichte spricht wiederum vornehmlich Mensch in dieser Blase. Anders gesagt: Gelegenheitszuschauer wird man mit einem Worked Shoot kaum erreichen. Dies auch als Hinweis in Richtung MJF und AEW.

Woods: „Eric Bischoff hatte im Grunde keine Ahnung, was zu tun war. Die Jungs hatten auch keinen sonderlich großen Respekt vor ihm. Für sie war er nichts anderes als ein drittklassiger Kommentator, der noch nichts fürs Business geleistet hatte. Umso wichtiger war es für ihn, die Menschen vom Gegenteil zu überzeugen, egal wie. Kim wusste ihn aus Erzählungen perfekt einzuschätzen und arbeitete mit Brian einen Plan aus, der am Ende perfekt aufging.“

Letztendlich sollte der „Verrückte“ einen ungemein lukrativen WWE-Vertrag in Stamford für sich aushandeln. Zuvor machte er aber noch einen Abstecher zu Extreme Championship Wrestling, um seinem Gimmick noch mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Völlig überraschend tauchte er beim Cyber Slam 1996 in der ECW-Arena in Philadelphia auf, um sich über Bischoff zu beschweren. Unter anderem bezeichnete er ihn als „großes Stück Scheiße“, das ihm seine Rechte geraubt hatte. Dem nicht genug, drohte er auch noch damit, sich die Hose herunterzuziehen und vor den geschockten Augen des Publikums in den Ring zu urinieren.

Zum Glück waren Paul Heyman, Tod Gordon und Shane Douglas zeitgerecht in der Halle, um das Schlimmste zu verhindern. „Hör auf damit, das ist nicht Teil des Deals. Brian, es ist nicht Teil des Deals“, rief Heyman aufgeregt. Pillman entgegnete: „Deal? Welcher Deal? Ich mache, was ich will – und wann ich es will. Ich gebe einen Scheiß auf dich und deine schlauen Kommentare, Booker Man!“

WIE GEHT ES NUN MIT MJF WEITER?

Dass MJF ebenso weit gehen würde, ist auszuschließen. Doch die Gemeinsamkeiten zu CM Punk und Brian Pillman sind deutlich zu sehen. Ob sich die Geschichte für AEW lohnen wird, muss sich indes erst weisen. Nach der Promo am 1. Juni wurden sämtliche Fanartikel von MJF aus dem Online-Shop genommen, der Wrestler wurde wochenlang in keinen TV-Shows erwähnt.

Der „Summer of Punk“ war legendär, hätte aber bei besserem Booking noch deutlich größer sein können. Pillmans Promos haben in erster Linie ihm selbst geholfen, wobei sein schwerer Autounfall wenig später ebenfalls eine historische Einordnung schwierig macht.

Dass eine fitte „Loose Cannon“ bei WWE deutlich stärker eingeschlagen wäre, steht außer Zweifel. Der ausgetrickste Eric Bischoff gab hingegen kein gutes Bild ab, auch wenn er die Dinge aus seiner Sicht heute anders beschreibt. Tony Khan sollte in jedem Fall gewarnt sein. Eines ist jedenfalls sicher: Die Aktie von Maxwell Jacob Friedman ist vorerst weiter gestiegen. Wer am Ende tatsächlich am meisten vom MJF-Skandal profitieren wird, lässt sich derzeit aber noch nicht endgültig feststellen. Der Catcher? Der aktuelle Arbeitgeber? Oder darf sich am Ende gar der größte Konkurrent freuen? Es bleibt spannend.